Page 39 - Preschaint Nummer 6
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                   Verweile, suche und finde Suchen muss ich sie nicht, meine Kirche. Sie ist zu sehen, manchmal zu hören. Von aussen. Ein gros- ses Bauwerk, stattlich, mächtig. So liegt sie da. Seit Jahrhunderten ein Teil des Ortsbildes. Suchen muss ich sie nicht, meine Kirche. Ich habe sie ge- funden. Und mich? Ich öffne die Tür. Hinter mir fällt sie ins Schloss. Ich trete ein. Vor mir ein Raum, der sich weitet, mich einlädt. Er scheint mir zuzurufen: Verweile! Suche und finde! Ich gehe ein paar Schritte, bleibe stehen. Höre. Wie gedämpft tönen die Geräusche von aussen herein: Die nahe Strasse, die lachenden Kinderstimmen, ein Velo, das klingelt. So nah und doch so fern. Wie eng liegt das beiein- ander. Da treffe ich einen Menschen jeden Tag, auf der Arbeit, im Bus: Was weiss ich eigentlich von ihm? Man kann so eng zusammen sein, und sich doch irgendwie fern bleiben. Ich brauche Nähe, damit es mir gut geht. Aber manchmal muss ich mich auch entfernen. So nah und doch so fern – die Töne von aussen. Die Holzbänke laden mich ein. Ich will mich gerne hinsetzen, durchschnaufen, zur Ruhe kommen, zur Stille finden. Suche ich das? Und finde ich mich, wenn ich meine Stille gefunden habe? Ich gehe ein paar Schritte und suche einen Platz, meinen Platz: Hinten oder vorne? Links oder rechts? Das kenne ich auch sonst. Manchmal habe ich meinen Platz gefunden im Leben. Ich weiss, wohin ich gehöre, zu was ich da bin. Und dann suche ich ihn wieder. Gut, dass ich zu dieser Tageszeit der einzige hier in der Kirche bin. Alle Plätze sind frei. Ich setze mich. Versuchsweise. Vielleicht ist es hier gut für mich. Mein Blick geht nach vorne: Der Taufstein, der Abendmahlstisch. Ein Raum, der sich nach hinten wölbt, wie ein Halbkreis. Offen und einladend zu- gleich. Ich darf ein Teil sein, darf dazugehören. Zu den Menschen, die diesen Ort gebaut haben. Zu denen, die hierherkommen, um zu beten, zu feiern, jetzt, früher, später. Geschichte wird gegen- wärtig – und ich bin ein Teil davon. Der Chorraum – ein offener Halbkreis. Das Offene gehört auch zu meinem Leben dazu. Fragen, auf die ich keine Antwort finde, Beziehungen, die sich nicht klären lassen, Streit, mit dem ich leben muss. Vieles wird nicht rund, muss auch nicht rund werden. Ist schön in seiner Unvollkommenheit. Auch bei mir? Ich sehe die Fenster. Die Sonne strahlt durch sie hindurch. Bunte Farben und Figuren werden sicht- bar. Was ist von mir sichtbar in den Beziehungen, in denen ich lebe? Was leuchtet anderen entgegen, wenn sie mich treffen? Und was wäre, wenn gar nicht ich leuchten müsste, sondern nur das Licht, in das ich mich hineinstellen darf? Das Licht ... Ich stehe auf und fühle mich verbunden, mit Menschen, die nicht hier sind, mit mir und mei- nem Leben, mit Gott. Ich gehe zur Tür und öffne sie. Andere Töne hüllen mich ein. Die Kirche habe ich gefunden, und auch ein wenig von mir selber.   preschaint das Magazin 37 


































































































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