Page 20 - Preschaint Nummer 7
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                 Ganz wie ihre Orchidee
Für unsere Begegnung gibt sie sich den Namen Katha- rina Gruber. Auch im Bild möchte sie sich nicht zeigen. Eine Orchidee soll für sie stehen. Diese stand schon im Zimmer, als sie es zum ersten Mal betrat. Als Willkom- men. Hier ist sie nun zuhause, «in meinem Zimmer», sagt sie ohne besondere Betonung auf «meinem». Was «mein» ist, ist nicht Besitz, den sie sich sichern müsste. Es ist einfach Vertrautes. Und darum sagt sie auch: «In meinem Bett ist es mir am wohlsten. Ich bin ganz zufrieden.» Dort verbringt sie die meiste Zeit, auch die des Tages. «Ich bin halt ein Nesthocker!», sagt’s und lacht herzhaft. Ihr Bewegungsradius ist klein geworden, schon lange. Kaum zu glauben, dass sie früher regelmässig Wanderungen unternahm! Am meisten wanderte sie im Engadin, wo sie regelmässig Ferien machte. Zusammen mit ihrem Mann. Er war für sie etwas vom Wichtigsten. Und doch ist er gestorben. Erlebt sie das Alleinsein als etwas, das gegen sie ge- richtet ist? – «Das Alleinsein», ihre Stimme klingt ohne Druck, «ist für mich keine Belastung, und es ist auch keine Bestrafung. Es ist einfach so.»
Katharina Gruber hat sich nicht von der Welt verab- schiedet. Sie ist da, so unscheinbar und still wie «ihre» Orchidee im Zimmer. Die rund Achtzigjährige ist auf dem Laufenden. Sie liest Zeitung – «alles ausser dem Börsenbericht» und schaut fern. «Man muss doch orientiert sein», meint sie lakonisch. Und jetzt spre- chen wir kurz über die Grossen, die kein gutes Verhält- nis zu ihrer Macht hätten, über «Trömp» und «Buttin» und wie sie alle heissen, sprechen über Führer und Ver- führer, die mit dem Volk machten, was sie wollen. Und dann sind wir bei «Hitler» – über ihre Mutter hat sie eine Wurzel nach Deutschland – und bei der ganzen Ungerechtigkeit der Welt. Und diese Ungerechtigkeit macht, dass sie nicht zusammenbringen kann, was sie
gerne miteinander verbunden sehen möchte: Gott und Welt.
«Natürlich leben wir nicht mehr im Paradies, ist ja klar, aber dass das Böse sein darf ... wo greift denn Gott ein, allmächtig, gütig, gerecht?!» Sie bewundert die- jenigen, die glauben können, auch wenn sie selbst «am Zwiiifle» ist. So wie sie schon ihren Vater bewun- derte, der täglich seine Bibel las. Als Mädchen betete sie abends für ihre an Multipler Sklerose erkrankte Mutter, die dann trotzdem jung starb. Einfach unver- ständlich alles für sie. Einen Gottesdienst könne sie, wenn sie ehrlich sein wolle, nie besuchen. Das wäre geheuchelt. Das Unservater betet sie aber täglich, ab und wann sagt sie für sich die Zehn Gebote auf – «Manchmal komme ich nur auf neun, ich weiss nicht, warum», sie lacht hell auf. Vielleicht bete sie aus Ge- wohnheit. «Und ... vielleicht, weil doch noch die stille Hoffnung da ist, dass da etwas ist?» Etwas, das die Welt zusammenhält! Sie weiss, dass sie auch in ihrem Zweifel nicht alleine ist. Zweifeln tun viele. Ihre Hoff- nung ist eine vorsichtig zarte. Wie «ihre» Orchidee. Katharina weist mit offenem Gesicht auf sie: «Die hat zum zweiten Mal schon geblüht. Ich hab’ es gar nicht erwartet.»
Und dann kommt sie urplötzlich zurück in unsere Begegnung und bekennt lachend: «Diesmal habe ich leider keinen!» – «Keinen was?» – «Keinen Witz!» Und beide prusten wir los, als ob sie gerade einen erzählt hätte. Denn Witze gehören zu unseren Begeg- nungen. Sie hat für mich auch schon welche aus Zeitungen und Zeitschriften ausgeschnitten und auf Blätter geklebt, für die Seniorenreise, auf die sie nie mitkommt ... und doch dabei ist.
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