Page 28 - Preschaint Nummer 7
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                Über den Weg in die Fremde zum Eigenen
Der Blick geht durchs Fenster hinaus, wo Lärchen zu einem Wald aufgereiht sind. Die Bäume sind Flammen in Orange und Gelb: Das Engadin, wie viele es lieben. Und wie Graziella Ramponi das Tal von früher kennt. Mitte Mai ist sie in die Schweiz zurückgekehrt. «Ich bin angekom- men!», sagt sie. Sie spürt wieder Ruhe in sich und eine stille Zufriedenheit.
Die Engadinerin kennen viele. Sie wissen auch, wie es dort aussieht, wo Graziella während drei- zehn Jahren gelebt hat. Sie kennen ihre Familie, BAAN DOI, das «Kinderhaus am schönen Berg». Und haben auch gesehen, wie die Tochter nun zurückkehrt und ihre Mutter in Thailand bleibt, bei ihrer neuen Liebe. Mit den Kamera-Augen des Schweizer Fernsehens SRF wurde mitver- folgt, was die Bildregie zur Doku-Soap zusam- menstellte.
«Wir sind gut angekommen», sagt die Rück- kehrerin und spricht jetzt auch von den beiden Mädchen: Naari (10) und Felicia (7). Den An- schluss in der Schule haben sie gefunden. Auch dank eines Ferienaufenthalts vor zwei Jahren. Da durften die beiden für zwei Tage in der Gemein- deschule schnuppern und Dorfkinder kennenler- nen. Die aktuelle Pandemie trug Gutes bei: In der Zeit, als Bever auf Fernunterricht umstellte, konn- te Naari von Thailand aus am Unterricht teilneh- men. Inzwischen haben sie sich an ihr Dasein hier als Schülerinnen gewöhnt, wenn auch Roma- nisch für die Mundart und Thai sprechenden
Mädchen eher noch eine Herausforderung ist. Gewöhnt haben sie sich auch daran, dass Lehr- personen sie unterrichten. Bislang waren es Mama und Papa.
Alle haben ihren Platz gefunden, auch das Paar selbst. Graziella arbeitet in der Pflege des Alters- und Pflegeheims in Samedan. Was sie tut, macht für sie Sinn. Mit dem Kinderhaus in Thailand bleibt sie über ihr «Back-office» verbunden und betreut unter anderem das Fundraising. Song- kran Najai ist Hausmann, hat aber die Aussicht, in der kommenden Wintersaison in einer Thai-Hotelküche arbeiten zu können. Darauf freut er sich.
Was ist aber mit Thailand, wenn sie nun hier in der Schweiz angekommen sind?
«Thailand ist allgegenwärtig!», Graziella Ramponi lacht herzhaft. Thai ist in der Familie Umgangs- sprache. Fast täglich gibt es Kontakte nach Thai- land zu Mutter und Schwiegervater und natürlich auch zu den Mitarbeitenden des staatlich aner- kannten Kinderhauses in Mae Sai, der nördlichs- ten Stadt Thailands. Und weil Graziellas Partner kocht, sind «hier» Düfte von «dort». Die thailän- dische Heimat riecht süss und scharf. «Im tropi- schen Klima von Thailand riecht alles intensiv, manchmal sogar penetrant!», erzählt sie. Ob sie auch einen typischen Geruch fürs Engadin kennt? Sie schaut wieder durchs Fenster hinaus: «Das Engadin riecht ... einfach nach Lärchen- wald.»
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