Page 5 - Preschaint Nummer 5
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                 «Schon 15 Jahre ist es her, da wurde ich, ein in Samedan wohnhafter Berner, zum freundlichsten St. Moritzer gewählt»,
sagt Ernst Ledermann und muss lachen. Ja,
das waren noch Zeiten, als er als Engadin-
bus-Chauffeur die Runden drehte. «Die Bes-
ten in meinem Leben», meint er und strahlt.
«Aschi», wie ihn alle nennen, ist eine Froh-
natur. Auch jetzt, wo ihm Schwindelanfälle
das Leben schwerer machen, ist er freund-
lich, liebenswürdig, zuvorkommend und gut
gelaunt. Und irgendwie hat es immer Leute
um Aschi. Gerade gestern hat ihn ein alter
Arbeitskollege aus dem Unterland besucht,
und die beiden sind dann auf den Muottas
Muragl gefahren. Und vor einigen Tagen hat
er mit einem anderen ehemaligen Arbeits-
kollegen einen Ausflug nach Scuol unter-
nommen. Und im September – auf das freut
er sich besonders – wird er wieder in die
Jagdhütte ins Rosegtal gehen, ebenfalls mit einem Kollegen. Er fühlt sich wohl im Engadin, auch wenn der Schnee und das Eis die Unsicherheit beim Gehen noch fördern. Aber er könn- te sich nicht vorstellen, zurück ins Bernbiet zu ziehen, zu sehr ist das Engadin mit all seinen Freunden und Nachbarn zur Heimat geworden. Vorallem könnte er sich nicht vorstellen, ohne seine Nachbarn zu sein, in jenem Block in Samedan, wo er wohnt. «Ich könnte es nicht besser haben», ist er über- zeugt. Kein Wunder: die eine Nachbarin holt regelmässig seine Wäsche und bringt sie am Abend gewaschen und ge- bügelt zurück, und die andere Nachbarin schaut regelmässig am Morgen vorbei, um mit ihm – solange er auf dem Home- trainer sitzt und schwitzt – zu plaudern. Andere sind in sei- nem Alter einsam, werden von der Gemeinschaft vergessen. Er nicht. Warum das so sei, möchte ich wissen. Er überlegt und meint, er wisse es eigentlich gar nicht. Er habe nie etwas Besonderes gemacht. Gut, meint er dann doch, er habe seine Freundschaften halt schon immer gepflegt, und wenn er backe, dann bekämen seine Nachbarn auch einen Zopf oder einen Zitronencake.
Ernst Ledermann
Aufgezeichnet von Barbara Schellenberg
 «Aschi» Ledermann
preschaint das Magazin 3












































































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