Page 42 - Preschaint Nummer 8
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                 sind. Dann vertiefen wir die Narkose so stark, dass wir im EEG eine 0-Linie mit Ausschlägen alle 20 oder 30 Sekunden erhalten. Diese Massnahme ist überlebenswichtig. Auch beatmete Corona-Er- krankte in der Intensivpflege müssen wir oft in eine tiefe Narkose versetzen, da es andernfalls schwierig sein kann, die Patienten adäquat zu beatmen. Schlafen ist demgegenüber eine hochaktive Tätigkeit? Ich leg mich doch nur hin ... Der Schlaf hat einen eigenen Rhythmus, gesteuert durch die Schlafzentren im Gehirn, präziser im Thalamus und Hypothalamus sowie im Hirnstamm. Tageslicht hat einen Einfluss, wird es dunkel, schüt- tet das Gehirn Melatonin, ein Hormon, aus. Wir werden müde. Wir haben zwei Hauptschlafphasen, die REM-Phase und die Non-REM-Phase. Das Kürzel REM kommt vom englischen «rapid eye mo- vements» wegen der ganz schnellen Augenbewe- gungen in dieser Schlafphase, während derer wir intensiv träumen. Die Hirnaktivität gleicht derjeni- gen im wachen Zustand. Non-REM-Phasen sind Tiefschlafphasen. Im Schlafverlauf wechseln sich REM- und Non-REM-Phasen ab. Der REM-Schlaf scheint wichtig zu sein für unsere Erholung. Schlaf- mittel sind toxische Substanzen und zerstören den REM-Schlaf. Sie dröhnen uns weg, Erholung finden wir in dieser Ruhigstellung aber nicht. Es gibt kein Schlafmittel, das den physischen Schlaf produzieren könnte. Warum schlafen wir denn eigentlich? Wir wissen einiges über das, was im Schlafen ab- geht, und wir kennen aktivierende und hemmende Systeme. Aber warum wir schlafen müssen, wissen wir nicht eigentlich. Es gibt Hinweise, dass im Schlaf Erlerntes erinnert und verfestigt wird. Vieles vom Erlebten geht im Schlaf weiter. Fühlen wir uns ausgeschlafen, sind wir seelisch-emotional aus- geglichen, körperlich und mental regeneriert. Offensichtlich brauchen wir den Schlaf. Ab 110 Stunden Entzug wird es lebensbedrohlich. Herz-Kreislauf-Probleme, Bluthochdruck, Herzin- farkte, Adipositas können begünstigt werden. Schlafentzug ist auch eine Foltermethode. Wenn wir unter der Woche zu wenig zum Schlafen kom- men, können wir den Schlaf am Wochenende nach- holen. Auch Tiere sind nicht vom Schlaf befreit, und von Delfinen und gewissen Zugvögeln weiss man, dass diese zeitweise nur eine Hirnhälfte in den Schlaf versetzen können . . . Wie wir schlafen, ist auch kulturabhängig, angefan- gen bei Naturvölkern, bei denen nachts wenig, aber tagsüber immer wieder mal geschlafen wird, über die Liege- und Schlafkultur der Römer. Im Mönch- tum aller Kulturen gibt es das Aufstehen in der Nacht zum Meditieren und Beten. Ein Wachzustand bei viel Melatonin und Kerzenschein. Das muss Visionen hervorzaubern ...! Und was macht uns wieder wach? Schmerz- und Lichtreize sind am effektivsten. Aber warum wir plötzlich wach werden, wissen wir nicht. Allerdings wissen wir, dass das Bewusstsein an eine höhere Hirnfunktion gekoppelt ist. Das Wiederauf- tauchen des Bewusstseins meiner selbst ist untrügli- ches Merkmal, dass ich wach bin. Aber wir müssen ehrlich bleiben: Was Bewusstsein und was Denken ist, wissen wir nicht. Über Teilfunktionen im Gehirn wissen wir zu wenig. Was über die Hirnforschung in die Öffentlichkeit gebracht wird, ist oft zu eupho- risch. Es gibt wahnsinnig faszinierende Erkenntnisse, doch jede schafft neue Fragen. Es ist beschönigend zu sagen, wir wüssten etwas noch nicht. Es gibt vermutlich einfach Sachen, die nie empirisch über- prüfbar sein werden. Sonst machten wir aus Hypo- thetischem wissenschaftlich inszenierte Metaphysik, eine Art Glaube. 40 preschaint das Magazin 


































































































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