Page 21 - Preschaint Nummer 8
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                 Du sagst, ich lese zu wenig in der Bibel. Im Klos- ter habe ich lange genug darin gelesen, jetzt muss ich erst einmal tun, was ich gelesen habe. Bete du nur für mich, ora et labora, wie wir es im Kloster gelernt haben. Wenn ich im Mai eine Erb- se in den Boden lege, dann ist das ein Gebet. Ich vertraue sie der Erde an und dem Regen, den Gott schicken, und der Sonne, die er scheinen lassen wird, damit aus dieser einen Erbse eine Mahlzeit für uns alle werden kann. Was ich tue, ist wie beten. Und wenn ich einer Glucke Eier unterlege, dann ist das bitten. Und wenn ich ein Ei in den Kuchenteig aufschlage, dann ist das danken für die Gabe. Wenn man auf das Wort des Herrn hören will, muss man nicht immer auf einer Kirchbank sitzen. Zu mir spricht er auch in der Küche. Vorhin hast du für den kranken Nachbarn Pflock gebetet. Gut, tu das! Aber der alte Mann braucht eine kräftige Suppe und jemanden, der frische Luft in seine Stube lässt. Vielleicht geht ja morgen die Welt unter, deine Stimmung ist danach. Wie wäre es, wenn du in den Garten gingest und dieses Apfelbäumchen pflanztest, von dem so viel geredet wird? Das Wort allein ist zu wenig, weisst du, und die Tat allein ist auch zu wenig, darum leben wir beide, Doktor Martinus Luter und Katharina von Bora, damit eines das andere ergänzen möge! Aber wenn ich nicht am Morgen den Vorhang aufzöge und sagte: «Martinus, es wird Frühling!» du würdest es nicht einmal merken! Aus dem Buch «Ungehaltene Reden ungehaltener Frauen» von Christine Brückner. Text gekürzt und für die freie Rede bearbeitet. – Abgedruckt mit freundlicher Genehmigung des St. Galler Kirchenboten. preschaint das Magazin 19 


































































































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