Page 33 - Preschaint Nummer 8
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                  Vor der Zeitung kommt das Kalenderblatt ... ... jedenfalls für Heidy Weisstanner. Auf ihrem Nacht- tisch liegt das Büchlein mit dem Wort für jeden Tag, täglich ein Bibelvers und eine Besinnung dazu. «Ges- tern morgen hat mich der Satz getroffen, man solle nicht eitel sein» – immer wieder regen die Besinnun- gen zur Selbstreflexion an. Gelegentlich zieht sie am Abend Bilanz und fragt sich, was konnte sie umsetzen, was nicht? Aber wegen Selbstzweifeln auf die Impulse zur Veränderung verzichten? Das hiesse: stehen bleiben. Nicht alles, was Heidy Weisstanner liest, bleibt haften. Oft schon mit dem Morgenessen und der Zeitungs- lektüre kommen andere Gedanken. Nicht alle Texte beachtet sie gleichermassen: Geschichten aus dem Alten Testament über Krieg und Streit überfliegt sie und legt sie rasch beiseite. Manchmal aber stutzt Heidy Weisstanner bei der Lektüre: «Den kenne ich doch!» – und sie denkt, wie sie als Kirchgemeinde- präsidentin von Celerina früher mit vielen Pfarrern zusammenkam, oder wie sie auf Singwochen Kontakte knüpfte – und nun den Gedanken ihrer Bekannten begegnet. Früher las Heidy Weisstanner den Kalender zusammen mit ihrem Partner, der vor zwei Jahren leider gestorben ist. Das war wie ein Morgenritual. Manchmal denkt sie nun, sie möchte über das Gelesene diskutieren – doch sie hat Kalenderblätter an die Pinwand geheftet, die ihr sagen, dass es nichts nützt, «wenn ich vor lauter Traurigkeit die Tulpen köpfe»: Was man vermisst, soll nicht die Freude rauben an dem, was man hat.  preschaint das Magazin 31 


































































































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