Page 34 - Preschaint Nummer 8
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                Auf schmaler Spur in den Morgen Die Arbeit beginnt nicht erst mit der Arbeit. Die Arbeit beginnt mit dem Weg zur Arbeit, zum Depot. Und das zu Fuss. Am Rest des Tages wird gefahren. Den Wegesrand, schon in der Nähe des lang gezogenen Bahntrassees, säumen Bäume und Strauchwerk. Vögel beleben sie, be- grüssen das sich ankündigende neue Tageslicht. Das ist das, was Marcel Fischer liebt: Die Ruhe am frühen Mor- gen. Frühaufsteher ist er nicht nur nach Fahrplan, es ist sein Naturell. Und die Ruhe, die er so schätzt, nimmt er später mit in den Führerstand. Im Winter ist die Ruhe noch grösser, wenn Bäume links oder rechts tief ver- schneit dastehen und es bei der ersten Fahrt «stübt» und die Geräusche gedämpfter sind. «Wenn es rundläuft, kannst du es auch geniessen. Die Landschaft, das Mor- genlicht ... vor allem, wenn du das Engadin hinunterfah- ren kannst. Das ist ’scho cheibe’ schön.» Gerade das Licht macht, dass er sich als Lokomotivführer privilegiert er- lebt. «Wenn ich an Angestellte in Verkaufshäusern und Büros denke, die bei künstlichem Licht arbeiten müssen, dann bin ich doch wirklich privilegiert. Ich arbeite im Ta- geslicht.» Und obwohl er sich in seiner Arbeitszeit draus- sen bewegt, ist er im beheizten Führerstand vor Kälte, Wind, Regen und Schnee gut geschützt. Die Strecke nach Scuol gefällt ihm besonders gut. «Da gibt es Ab- schnitte, da spürst du wenig von der Zivilisation.» Aber eben, diese Eindrücke kann er wahrnehmen, wenn es rundläuft. Grundsätzlich muss er präsent sein und ein- greifen können, wenn es nötig ist. Und Gefahren voraus- sehen können. Das Schienennetz der «Rhätischen» kennt er fast gänzlich. Einzig Chur-Arosa steht nicht in seinen Dienstplänen. Er weiss also, wo Gefahrenstellen sind, im Sommer, im Winter. Und kennt auch die Steigungen und Neigungen, die beachtet sein wollen. Anfänglich war für ihn die Albula-Linie zum Befahren das Grösste. Eisenbahntechnisch ist sie ein Wunderwerk. Und mit ihren Kehrtunneln mag sie ihn auch am stärks- ten an die Gotthardlinie erinnert haben. Denn Lokomoti- vführer war er zuerst bei den Bundesbahnen mit Dien- stort Erstfeld. Da gab es noch die «Vorspannlok» und den «Zwischendienst» mit zusätzlichen Loks, um die Hö- henmeter im Alpenkamm zu meistern. Die Gotthardbahn von Louis Favre war noch ein Mythos und Erstfeld ein Ei- senbahner-Zentrum. Lokomotivführer wohnten in dersel- ben Siedlung im Ort. Man kannte sich. Das war einmal. Als bei den SBB die Divisionierung eingeführt und die Lokführer den Abteilungen Personenverkehr oder Güter- verkehr zugeteilt wurden, war es für Marcel Fischer Zeit zu wechseln. Die RhB suchte für den Mehrverkehr mit der Eröffnung der Vereina-Linie zusätzliches Lokpersonal. Aber wie kam die Lok überhaupt zu Marcel Fischer? Auf- gewachsen ist er auf einem Bauernhof am Hallwilersee im Aargau, in einem Dorf ohne Bahnhof. Aber es gab Zuckerrüben. Und die wurden von Vater mit dem Traktor ins Nachbardorf gefahren und dort auf Güterwagen ver- laden. Das war für ihn eindrücklich. «Ich war wirklich der mit dem Bubentraum Lokführer», bekennt er lächelnd. 32 preschaint das Magazin 


































































































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